Nutzt ein Unter­nehmer einen Gegen­stand teilweise zu unter­neh­me­ri­schen und teilweise zu nicht­un­ter­neh­me­ri­schen Zwecken, kann er diesen entweder insge­samt seinem

  • umsatz­steu­er­li­chen Unter­nehmen oder
  • nicht­un­ter­neh­me­ri­schen (privaten) Bereich oder
  • anteilig entspre­chend seinem unter­neh­me­ri­schen Nutzungs­an­teil dem umsatz­steu­er­li­chen Unter­nehmen 

zuordnen. Der Unter­nehmer muss im Zeitpunkt der Anschaf­fung oder Herstel­lung eines Gegen­standes entscheiden, ob er ihn seinem umsatz­steu­er­li­chen Unter­nehmen zuordnet. Der Unter­nehmer muss seine Zuord­nung erkennbar und zeitnah treffen, z. B. indem er die Vorsteuer geltend macht. Die Zuord­nung muss gegen­über dem Finanzamt spätes­tens bis zum Ende der Erklä­rungs­frist für die Umsatz­steuer-Jahres­er­klä­rung erfolgen (das ist zurzeit der 31.7. des Folge­jahres). Nach diesem Termin ist eine Zuord­nung zum umsatz­steu­er­li­chen Unter­nehmen nicht mehr möglich.

Praxis-Beispiele:
Rechts­sache C 45/20:
Ein Gerüst­bau­un­ter­nehmer beauf­tragte ein Archi­tek­ten­büro mit der Erstel­lung von Bauplänen für ein Einfa­mi­li­en­haus. Nach diesen Plänen sollte das Haus eine Gesamt­nutz­fläche von 149,75 m2 haben und im Erdge­schoss ein Zimmer mit der Bezeich­nung „Arbeiten“ mit einer Fläche von 16,57 m2 beinhalten. Die Rechnungen für den Bau dieses Hauses wurden zwischen Oktober 2014 und November 2015 erstellt. In seiner Umsatz­steuer-Jahres­er­klä­rung für das Jahr 2015, die am 28.9.2016 beim Finanzamt einging, machte er erstmals ein Recht auf Vorsteu­er­abzug für die Errich­tung eines Arbeits­zim­mers geltend. Das Finanzamt lehnte den Abzug ab, weil die Frist für die Abgabe der Umsatz­steuer-Jahres­er­klä­rung für das Jahr 2015 abgelaufen war.

Rechts­sache C 46/20: Der Steuer­pflich­tige erwarb im Jahr 2014 eine Photo­vol­ta­ik­an­lage. Den erzeugten Strom verbrauchte er teilweise selbst, teilweise verkaufte er ihn an einen Energie­ver­sorger. Der Einspei­se­ver­trag mit dem Energie­ver­sorger wurde im selben Jahr abgeschlossen und sah eine Vergü­tung zuzüg­lich Umsatz­steuer vor. Am 29.2.2016 reichte der Steuer­pflich­tige beim Finanzamt eine Umsatz­steuer-Jahres­er­klä­rung für 2014 ein. Darin machte er zum ersten Mal Abzüge geltend, die im Wesent­li­chen die ausge­wie­sene Vorsteuer in einer Rechnung vom 11.9.2014 über die Liefe­rung und Instal­la­tion seiner Photo­vol­ta­ik­an­lage betrafen. Das Finanzamt lehnte den Vorsteu­er­abzug ab, da der Steuer­pflich­tige nicht bis zum 31.5.2015 (= dem Tag des Ablaufs der Frist für die Abgabe der Umsatz­steuer-Jahres­er­klä­rung) die Entschei­dung getroffen habe, diesen Gegen­stand seinem Unter­neh­mens­ver­mögen zuzuordnen.

Der EuGH hat nun entschieden, dass die natio­nale Steuer­ver­wal­tung den Vorsteu­er­abzug verwei­gern darf, wenn nicht ausge­schlossen ist, dass der Steuer­pflich­tige den Gegen­stand seinem Privat­ver­mögen zugewiesen hat. Es darf den Vorsteu­er­abzug somit verwei­gern, wenn der Steuer­pflich­tige sein Wahlrecht, einen Gegen­stand seinem umsatz­steu­er­li­chen Unter­nehmen zuzuordnen, der Finanz­ver­wal­tung nicht spätes­tens bis zum Ablauf der gesetz­li­chen Frist für die Abgabe der Umsatz­steuer-Jahres­er­klä­rung mitteilt. Nur durch eine ausdrück­liche Entschei­dung oder durch hinrei­chende Anhalts­punkte wird das Finanzamt in die Lage versetzt, eine Zuord­nung des Gegen­stands zum umsatz­steu­er­li­chen Unter­nehmen festzu­stellen.

Die Zuord­nungs­ent­schei­dung ist eine materi­elle Voraus­set­zung für die Ausübung des Rechts auf Vorsteu­er­abzug. Die Mittei­lung an die Steuer­ver­wal­tung ist jedoch nur eine formelle Voraus­set­zung. Nach ständiger Recht­spre­chung des EuGH kann ein Verstoß gegen die formellen Anfor­de­rungen jedoch grund­sätz­lich nicht zum Verlust des Rechts auf Vorsteu­er­abzug führen. Anders verhält es sich, wenn der Verstoß gegen die formellen Anfor­de­rungen den sicheren Nachweis verhin­dert, dass die materi­ellen Anfor­de­rungen erfüllt wurden.

Kann der Unter­nehmer nachweisen, dass er seine Zuord­nungs­ent­schei­dung bereits im Zeitpunkt des Erwerbs der Inves­ti­ti­ons­güter getroffen hatte, kann der Vorsteu­er­abzug in Betracht kommen, auch wenn der Unter­nehmer seine Zuord­nungs­ent­schei­dung dem Finanzamt nicht inner­halb der Frist bekannt gegeben hat. Der BFH muss nun entscheiden, ob dies der Fall war.

Quelle: EuGH | Urteil | C 45/20 und C 46/20 | 13-10-2021