Die Besteue­rung von Kapital­an­lagen ist 2008 grund­le­gend neu geregelt worden. Seitdem gehören Gewinne aus der Veräu­ße­rung von Kapital­an­lagen (unabhängig von einer Halte­frist) in vollem Umfang zu den Einkünften aus Kapital­ver­mögen. Gewinne aus Kapital­an­lagen unter­liegen grund­sätz­lich dem Steuer­satz von 25%. Deshalb wurde geregelt, dass Verluste aus Kapital­ver­mögen nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapital­ver­mögen verrechnet werden können. Eine weitere Einschrän­kung bei der Verlust­ver­rech­nung gilt bei der Veräu­ße­rung von Aktien. Nach der derzei­tigen Rechts­lage dürfen Verluste aus der Veräu­ße­rung von Aktien nicht mit anderen Einkünften aus Kapital­ver­mögen ausge­gli­chen werden, die nicht aus Aktien­ver­äu­ße­rungen resul­tieren.

Der BFH hält diese Einschrän­kung für verfas­sungs­widrig (Beschluss vom 17.11.2020, VIII R 11/18). Der BFH ist der Auffas­sung, dass diese gesetz­liche Regelung mit dem Gleich­heits­satz des Grund­ge­setzes nicht vereinbar ist und legt diese Frage deshalb dem BVerfG zur Entschei­dung vor.

Begrün­dung: Steuer­pflich­tige werden unter­schied­lich behan­delt, abhängig davon, ob sie Verluste aus der Veräu­ße­rung von Aktien oder aus der Veräu­ße­rung anderer Kapital­an­lagen erzielt haben. Es gibt keinen Grund, der diese Ungleich­be­hand­lung recht­fer­tigen könnte. Förde­rungs- oder Lenkungs­zwecke können aus der Sicht des BFH nicht als Grund­lage für eine sachliche Recht­fer­ti­gung in Betracht kommen, weil die Verlust­ver­rech­nungs­be­schrän­kung nämlich nicht für solche Kapital­an­lagen gilt, die deutlich höhere Gewinn­chancen und Verlust­ri­siken als Aktien beinhalten und sich deshalb besser für Speku­la­ti­ons­zwecke eignen.

Konse­quenz: Das BMF hat nunmehr geregelt, dass die Verlust­ver­rech­nungs­be­schrän­kung für Aktien­ver­äu­ße­rungs­ver­luste vorläufig durch­zu­führen ist. Der Vorläu­fig­keits­ver­merk ist sämtli­chen Einkom­men­steu­er­fest­set­zungen für die Jahre ab 2009 beizu­fügen, in denen ein Verlust aus Kapital­ver­mögen entstanden ist und in denen ein Verlust festge­stellt wird, weil ein Ausgleich mit anderen Einkünften aus Kapital­ver­mögen nicht möglich ist.

Sollten entspre­chende Steuer­be­scheide keinen Vorläu­fig­keits­ver­merk enthalten, sollte unbedingt Einspruch einge­legt und eine Ausset­zung des Verfah­rens beantragt werden.

Quelle: BMF-Schreiben | Veröf­fent­li­chung | IV A 3 - S 0338/19/10006 :001 | 30-01-2022