Ein Missbrauch recht­li­cher Gestal­tungs­mög­lich­keiten liegt grund­sätz­lich nicht vor, wenn der Steuer­pflich­tige ein Grund­stück unent­gelt­lich auf seine Kinder überträgt, die das Grund­stück anschlie­ßend an den Erwerber veräu­ßern. Das gilt auch dann, wenn der Steuer­pflich­tige die Veräu­ße­rung des Grund­stücks angebahnt hat. Der Veräu­ße­rungs­ge­winn ist in dieser Situa­tion bei den Kindern zu erfassen und nach deren Verhält­nissen zu versteuern.

Praxis-Beispiel:
Die Klägerin erwarb im Jahr 2011 ein Grund­stück, das sie unent­gelt­lich jeweils zu hälftigem Mitei­gentum auf ihren volljäh­rigen Sohn und ihre volljäh­rige Tochter übertrug. Mit notariell beurkun­detem Vertrag vom selben Tag verkauften Sohn und Tochter das Grund­stück an neue Erwerber. Der Kaufpreis wurde nach § 3 des Vertrags je zur Hälfte an den Sohn und die Tochter ausge­zahlt. Die Verkaufs­ver­hand­lungen mit dem neuen Erwerber waren allein von der Klägerin geführt worden.

Die Klägerin erklärte in ihrer Steuer­erklä­rung für 2012 keinen Gewinn aus einem privaten Veräu­ße­rungs­ge­schäft. Das Finanzamt überprüfte die Angaben der Klägerin und sah in der Schen­kung an die Kinder einen Missbrauch von recht­li­chen Gestal­tungs­mög­lich­keiten (§ 42 AO), sodass der Veräu­ße­rungs­ge­winn der Klägerin zuzurechnen sei. Die Schen­kung an die Kinder habe zu einem gesetz­lich nicht vorge­se­henen Steuer­vor­teil von 14.186 € geführt, weil sie die Besteue­rung des Veräu­ße­rungs­ge­winns bei sich vermieden habe. Die Klägerin habe für die gewählte Gestal­tung auch keine außer­steu­er­li­chen Gründe nachge­wiesen, die nach dem Gesamt­bild der Verhält­nisse beacht­lich seien.

Die Klägerin hat das im Jahr 2011 angeschaffte Grund­stück nicht veräu­ßert, sondern es nach den Feststel­lungen des Finanz­ge­richts unent­gelt­lich im Wege der Schen­kung auf ihre Tochter und Ihren Sohn übertragen. Es liegen keine Gründe dafür vor, dass die unent­gelt­liche Übertra­gung zwischen naheste­henden Personen steuer­lich nicht anzuer­kennen ist. Konse­quenz: Da die Klägerin das Grund­stück nicht veräu­ßert hat, ist bei ihr auch kein Veräu­ße­rungs­ge­winn entstanden.

Ein Missbrauch von recht­li­chen Gestal­tungs­mög­lich­keiten, der zur Entste­hung des Steuer­an­spruchs aus der Veräu­ße­rung des Grund­stücks bei der Klägerin führen könnte, liegt ebenfalls nicht vor. Bei der gesetz­li­chen Regelung zur Versteue­rung privater Veräu­ße­rungs­ge­schäfte (§ 23 Abs. 1 Satz 3 EStG) handelt es sich eine Vorschrift, die einen Missbrauch verhin­dern soll. Damit ist die Annahme eines Missbrauchs recht­li­cher Gestal­tungs­mög­lich­keiten gemäß § 42 AO für den Fall der Veräu­ße­rung nach unent­gelt­li­cher Übertra­gung ausge­schlossen.

Die unent­gelt­liche Übertra­gung des Grund­stücks an einen Dritten, der das Grund­stück sodann inner­halb der Speku­la­ti­ons­frist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG veräu­ßert, unter­fällt dem Anwen­dungs­be­reich des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG und stellt daher ungeachtet der zeitli­chen Nähe zwischen Übertra­gung und Weiter­ver­äu­ße­rung grund­sätz­lich keinen Gestal­tungs­miss­brauch i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO dar.

§ 23 EStG sieht für den Fall des unent­gelt­li­chen Erwerbs vor, dass dem Einzel­rechts­nach­folger die Anschaf­fung oder die Überfüh­rung des Wirtschafts­guts in das Privat­ver­mögen durch den Rechts­vor­gänger zuzurechnen ist. Diese Vorschrift regelt somit die Entste­hung des Veräu­ße­rungs­ge­winns, wenn ein unent­gelt­li­cher Erwerb voran­ge­gangen ist. Vom Rechts­vor­gänger verwirk­lichte Besteue­rungs­merk­male werden dem unent­gelt­li­chen Rechts­nach­folger aufgrund des Gesetzes persön­lich zugerechnet. Das führt dazu, dass das private Veräu­ße­rungs­ge­schäft bei demje­nigen besteuert wird, der die Veräu­ße­rung vorge­nommen und den Veräu­ße­rungs­erlös tatsäch­lich erhalten hat.

Allein der Umstand, dass der Veräu­ße­rungs­ge­winn bei Tochter und Sohn niedriger besteuert wird als bei der Klägerin, führt nicht zur Annahme eines Missbrauchs recht­li­cher Gestal­tungs­mög­lich­keiten. Ein Steuer­pflich­tiger darf seine recht­li­chen Verhält­nisse so gestalten, dass sich eine gerin­gere steuer­liche Belas­tung ergibt. Das Bestreben, Steuern zu sparen, macht für sich allein eine Gestal­tung noch nicht unange­messen. Das gilt insbe­son­dere hier, weil sich ein "Steuer­vor­teil" allein daraus ergibt, dass die unent­gelt­liche Übertra­gung des Grund­stücks von Gesetzes wegen akzep­tiert wird. Folge ist, dass ein Veräu­ße­rungs­ge­winn nicht vom Schenker, sondern vom Beschenkten nach dessen persön­li­chen Verhält­nissen versteuert werden muss.

Quelle: BFH | Urteil | IX R 8/20 | 22-04-2021