Bei verhei­ra­teten und dauernd getrennt­le­benden Eltern­teilen kann

  • der Kinder­frei­be­trag und
  • der Freibe­trag für den Betreu­ungs- und Erzie­hungs- oder Ausbil­dungs­be­darf (BEA-Freibe­trag)

von einem auf den anderen Eltern­teil nicht allein auf den Antrag eines Eltern­teils gestützt werden.

Praxis-Beispiel:
Der Kläger erzielte im Jahr 2015 Entschä­di­gungen, die aufgrund des Abgeord­ne­ten­sta­tuts des Europäi­schen Parla­mentes gezahlt wurden. Auf diesen Betrag erhob die EU eine Gemein­schafts­steuer.

Der 1997 geborene Sohn des Klägers wohnt seit 2010 bei seiner Mutter, die vom Kläger dauernd getrennt lebte (und zwischen­zeit­lich geschieden ist). Die Mutter hat das Kinder­geld bezogen. Der Kläger nahm antrags­gemäß den Kinder­frei­be­trag und den BEA-Freibe­trag in voller Höhe in Anspruch, also auch den Teil, der der Mutter zustand. Bei der Veran­la­gung zur Einkom­men­steuer 2015 prüfte das Finanzamt, ob die kindbe­dingten Freibe­träge zu einer höheren Entlas­tung führten als das Kinder-geld (Günsti­ger­prü­fung nach § 31 Satz 4 EStG). Diese vom Finanzamt vorge­nom­mene Günsti­ger­prü­fung ergab, dass die gebotene steuer­liche Freistel­lung des Existenz­mi­ni­mums des Kindes durch den Kinder­geld­an­spruch vollständig bewirkt worden war. 

Das Finanzamt ging davon aus, dass bei der Steuer­be­rech­nung mit kindbe­dingten Freibe­trägen die EU-Steuer auf die Steuer nach dem Grund­tarif anzurechnen sei, bevor das Kinder­geld hinzu­ge­rechnet wird. Die Steuer­ermä­ßi­gungen für Partei­spenden und haushalts­nahe Dienst­leis­tungen können nicht berück­sich­tigt werden, da die tarif­liche Einkom­men­steuer bereits durch die Anrech­nung der EU-Steuer auf 0 € reduziert werde. Im Einkom­men­steu­er­be­scheid 2015 erfolgte danach auch kein Abzug der kindbe­dingten Freibe­träge. Das Finanz­ge­richt gab der Klage statt, weil es davon ausging, dass die Günsti­ger­prü­fung ohne Berück­sich­ti­gung der anzurech­nenden EU-Steuer, der sonstigen Steuer­ermä­ßi­gungen und der Hinzu­rech­nung des Kinder­geldes zu erfolgen habe.

Der BFH hat entschieden, dass bei der Günsti­ger­prü­fung von nicht zusam­men­ver­an­lagten Eltern für den Anspruch auf Kinder­geld die Diffe­renz zwischen

  • der Steuer nach dem Grund­tarif auf das Einkommen ohne Abzug der kindbe­dingten Freibe­träge und
  • der Steuer nach dem Grund­tarif auf das Einkommen nach Abzug der kindbe­dingten Freibe­träge

gegen­über­zu­stellen ist. Führt die Vergleichs­rech­nung zu dem Ergebnis, dass die Freibe­trags­ge­wäh­rung für den Steuer­pflich­tigen günstiger ist, ist die Hinzu­rech­nung des Kinder­geld­an­spruchs erst nach Anwen­dung der Steuer­ermä­ßi­gungs­vor­schriften durch­zu­führen. Das hat zur Folge, dass sich aus dem hinzu­ge­rech­neten Kinder­geld­an­spruch bei Anwen­dung der Steuer­ermä­ßi­gungs­vor­schriften kein zusätz­li­ches Verrech­nungs­po­ten­zial ergibt.

Zunächst ist jedoch zu prüfen, ob die kindbe­dingten Freibe­träge, die einem Eltern­teil zustehen, überhaupt auf den anderen Eltern­teil übertragen werden können. Leben die Eltern­teile dauernd getrennt, liegen die Voraus­set­zungen für eine Zusam­men­ver­an­la­gung nicht vor. Das hat zur Folge, dass auch die Voraus­set­zungen für eine automa­ti­sche Verdop­pe­lung der kindbe­dingten Freibe­träge bei einem Eltern­teil nicht erfüllt sind.

Konse­quenz: Die Übertra­gung des Kinder­frei­be­trags scheidet aus, wenn der Eltern­teil, dessen Freibe­trag auf den anderen Eltern­teil übertragen werden soll, seiner Unter­halts­pflicht im Wesent­li­chen nachge­kommen ist. Die Übertra­gung des BEA-Freibe­trags scheidet aus, wenn das Kind bereits volljährig ist oder bei dem Eltern­teil gemeldet ist, dessen Freibe­trag auf den anderen Eltern­teil übertragen werden soll.

Das Finanz­ge­richt hat die Übertra­gung des Kinder­frei­be­trags der Kinds­mutter auf den Kläger auf den Antrag des Klägers gestützt, ohne zu prüfen, ob die Übertra­gungs­vor­aus­set­zungen vorliegen. Unzurei­chende Sachver­halts­fest­stel­lungen der Tatsa­chen­in­stanz sind nach ständiger höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung als materiell-recht­li­cher Fehler anzusehen, der auch ohne entspre­chende Rüge zur Urteils­auf­he­bung führt. Das Finanz­ge­richt muss daher nach den Vorgaben des BFH erneut entscheiden.

Quelle: BFH | Urteil | III R 34/19 | 13-04-2021