Bestandskräftige Einkommensteuerbescheide können innerhalb der Festsetzungsfrist geändert werden, wenn neue Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer
- höheren Steuerbelastung führen, oder die zu einer
- niedrigeren Steuerbelastung führen, wenn den Steuerpflichtigen kein Verschulden daran trifft, dass die neue Tatsache erst nachträglich bekannt wird.
Ob die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei der Erzielung von Einkünften aus Kapitalvermögen zu einer höheren oder einer niedrigeren Steuer führt, richtet sich nicht allein nach der festgesetzten Einkommensteuer. Vielmehr ist auch die Kapitalertragsteuer einzubeziehen, mit der die Einkommensteuer ansonsten abgegolten ist.
Praxis-Beispiel:
Der Kläger erzielte neben geringen Einkünften aus gewerblicher und freiberuflicher Tätigkeit Einkünfte aus Kapitalvermögen. In seinen Steuererklärungen beantragte er hinsichtlich seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen jeweils die Günstigerprüfung. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für die Jahre 2010, 2011 und 2012 auf jeweils 0 € fest. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen unterwarf das Finanzamt jeweils der tariflichen Einkommensteuer. Dies führte zur Erstattung der anrechenbaren Kapitalertragsteuer und des Solidaritätszuschlags in voller Höhe. Nach Eintritt der Bestandskraft beantragte der Kläger eine Berichtung der Steuerbescheide, indem er bisher nicht erklärte Kapitalerträge, die nur teilweise dem inländischen Steuerabzug unterlegen hatten, nacherklärte. Er fügte die entsprechend geänderten Anlagen KAP und die Original-Steuerbescheinigungen bei.
Das Finanzamt lehnte eine Berichtigung ab, weil die Einbeziehung dieser Kapitalerträge zu einer Erstattung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlägen sowie ausländischer Steuer bzw. EU-Quellensteuer führen würde. Da der Kläger das Bekanntwerden der neuen Tatsachen selbst verschuldet habe, scheide eine Berichtigung aufgrund neuer Tatsachen aus. Der Kläger machte geltend, dass es auf das Verschulden nicht ankäme, weil sich eine höhere Steuerfestsetzung ergeben würde.
Erklärt ein Steuerpflichtiger Kapitalerträge nach, um im Rahmen der Veranlagung eine Anrechnung und Erstattung der bereits gezahlten Kapitalertragsteuer zu erreichen, kann er eine Änderung seines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids nicht unabhängig von der Frage erreichen, ob ihn ein Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden dieser Einkünfte trifft. Der Steuerpflichtige ist gleichzustellen mit denen, die nachträglich steuermindernde Umstände geltend machen, um z. B. abziehbare Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erreichen zu wollen.
Das Interesse der Steuerpflichtigen, die abgeltend besteuerten Kapitalerträge nachzuerklären, besteht vorrangig darin, bereits entrichtete Steuern angerechnet bzw. erstattet zu bekommen. Den Kläger trifft, wie bereits das Finanzgericht festgestellt hat, am nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsachen ein grobes Verschulden. Dieses Verschulden ist (entgegen der Auffassung des Finanzgerichts) nicht unbeachtlich.