Eine einheit­liche Erstaus­bil­dung ist nicht mehr anzunehmen, wenn die von dem Kind aufge­nom­mene Erwerbs­tä­tig­keit bei einer Gesamt­wür­di­gung der Verhält­nisse bereits die haupt­säch­liche Tätig­keit bildet und sich die weiteren Ausbil­dungs­maß­nahmen als eine auf Weiter­bil­dung und/​oder Aufstieg in dem bereits aufge­nom­menen Berufs­zweig gerich­tete Neben­sache darstellen.

Praxis-Beispiel:
Der Sohn des Klägers hatte im Juni 2013 eine Berufs­aus­bil­dung als Bankkauf­mann abgeschlossen. Anschlie­ßend absol­vierte er von Oktober 2013 bis August 2015 eine Ausbil­dung zum Bankfach­wirt und ab Oktober 2015 eine Ausbil­dung zum Bankbe­triebs­wirt. Die Famili­en­kasse lehnte den Antrag des Vaters vom 27.12.2017 auf Kinder­geld ab Juli 2013 ab, weil der Sohn im Juni 2013 bereits eine erste Ausbil­dung abgeschlossen habe, einer Erwerbs­tä­tig­keit von mehr als 20 Wochen­stunden nachgehe und sich erst seit Oktober 2013 in einer Zweit­aus­bil­dung befinde, die mangels recht­zei­tiger Bewer­bung oder einer entspre­chenden Absichts­er­klä­rung mit der Erstaus­bil­dung nicht zeitlich zusam­men­hinge. Der Einspruch und die Klage wurden als unbegründet zurück­ge­wiesen.

Kinder­geld wird nur während der Zeit einer Erstaus­bil­dung gewährt. Der BFH stellt bei seiner Beurtei­lung vor allem auf folgende Punkte ab:

  • Es muss sich um einen öffent­lich-recht­lich geord­neten Ausbil­dungs­gang handeln, der auf einen Abschluss ausge­richtet ist und in Form einer Prüfung abgeschlossen wird.
  • Die beruf­liche Ausbil­dungs­maß­nahme muss die notwen­digen fachli­chen Fähig­keiten und Kennt­nisse vermit­teln, die zur Aufnahme eines Berufs befähigen, wodurch insbe­son­dere eine Abgren­zung gegen­über dem Besuch einer allge­mein­bil­denden Schule erfolgen soll.
  • Liegen mehrere Ausbil­dungs­ab­schnitte vor, können diese eine einheit­liche Erstaus­bil­dung darstellen, wenn sie zeitlich und inhalt­lich so aufein­ander abgestimmt sind, dass die Ausbil­dung nach Errei­chen des ersten Abschlusses fortge­setzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufs­ziel erst über den weiter­füh­renden Abschluss erreicht werden kann.
  • In einem solchen Fall muss aufgrund objek­tiver Beweisan­zei­chen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufs­ziel erfor­der­liche Ausbil­dung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss erreicht hat.
  • Dabei ist darauf abzustellen, ob sich die einzelnen Ausbil­dungs­ab­schnitte als integra­tive Teile einer einheit­li­chen Ausbil­dung darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbil­dungs­ab­schnitte in einem engen sachli­chen Zusam­men­hang (z. B. in derselben Berufs­sparte, im selben fachliche Bereich) zuein­an­der­stehen und in einem engen zeitli­chen Zusam­men­hang durch­ge­führt werden.
  • An einer Ausbil­dungs­ein­heit fehlt es dagegen, wenn bereits die Aufnahme des zweiten Ausbil­dungs­ab­schnitts eine berufs­prak­ti­sche Tätig­keit voraus­setzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbil­dungs­ab­schnitts eine Berufs­tä­tig­keit aufnimmt, die nicht nur der zeitli­chen Überbrü­ckung bis zum nächst­mög­li­chen Beginn des weiteren Ausbil­dungs­ab­schnitts dient.
  • Wenn dagegen erst der im zweiten Ausbil­dungs­ab­schnitt angestrebte Abschluss eine Berufs­tä­tig­keit voraus­setzt, steht dies der Einheit beider Ausbil­dungs­ab­schnitte nicht entgegen, wenn dieses Erfor­dernis z.B. durch eine während des zweiten Ausbil­dungs­ab­schnitts durch­ge­führte, aber weniger als 20 Wochen­stunden umfas­sende Arbeits­tä­tig­keit erfüllt werden kann.

Es liegt keine einheit­liche Erstaus­bil­dung vor, wenn das Kind eine Berufs­tä­tig­keit aufnimmt, nachdem es einen öffent­lich-recht­lich geord­neten Ausbil­dungs­gang erfolg­reich beendet hat, und die weiteren Ausbil­dungs­maß­nahmen gegen­über der Berufs­tä­tig­keit in den Hinter­grund treten. Das Finanz­ge­richt hat aber nicht geprüft, ob das Studium, das der Sohn parallel zu seiner Berufs­tä­tig­keit betrieben hat, nicht mehr als Teil einer einheit­li­chen Erstaus­bil­dung, sondern als berufs­be­glei­tende Weiter­bil­dungs­maß­nahme durch­führt wurde. Das Finanz­ge­richt wird daher im zweiten Rechts­gang der Frage nachzu­gehen haben, ob das Studium zum Bankfach­wirt und zum Bankbe­triebs­wirt dem Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis oder ob das Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis dem Studium unter­ge­ordnet war.

Quelle: BFH | Urteil | III R 39/20 | 25-05-2021