Aufwen­dungen einer gesunden Steuer­pflich­tigen für eine Präim­plan­ta­ti­ons­dia­gnostik mit nachfol­gender künst­li­cher Befruch­tung aufgrund einer Krank­heit ihres Partners können als außer­ge­wöhn­liche Belas­tungen abziehbar sein. Die Abzieh­bar­keit schließt auch die Behand­lungs­schritte mit ein, die aufgrund untrenn­barer biolo­gi­scher Zusam­men­hänge am Körper der nicht erkrankten Steuer­pflich­tigen vorge­nommen werden. Der Abzieh­bar­keit steht es nicht entgegen, dass die Partner nicht mitein­ander verhei­ratet sind.

Praxis-Beispiel:
Beim Partner der ledigen Klägerin bestand eine Chromo­so­men­mu­ta­tion, welche mit hoher Wahrschein­lich­keit dazu geführt hätte, dass ein auf natür­li­chem Weg gezeugtes gemein­sames Kind an schwersten körper­li­chen oder geistigen Behin­de­rungen gelitten und unter Umständen nicht lebens­fähig gewesen wäre. Die Klägerin und ihr Partner begaben sich deshalb in einem Kinder­wunsch­zen­trum in Behand­lung. Aufgrund des Kinder­wun­sches der Klägerin und ihres Partners sei die Durch­füh­rung einer Präim­plan­ta­ti­ons­dia­gnostik (PID) indiziert gewesen. Des Weiteren erfolgten ein Beratungs­ge­spräch zur künst­li­chen Befruch­tung sowie eine psycho­so­ziale Beratung. Im Anschluss hieran entschieden sich die Klägerin und ihr Partner dazu, eine künst­liche Befruch­tung mit PID durch­führen zu lassen, um dadurch die chromo­so­male Fehlstel­lung auszu­schließen und eine fortlau­fende Schwan­ger­schaft zu errei­chen.
In ihrer Einkom­men­steu­er­erklä­rung beantragte die Klägerin den Abzug von Aufwen­dungen im Zusam­men­hang mit der künst­li­chen Befruch­tung in Höhe von 22.965 € als außer­ge­wöhn­liche Belas­tungen. Das Finanzamt lehnte eine Berück­sich­ti­gung der Behand­lungs­kosten der Klägerin ab.

Das Finanz­ge­richt hat entschieden, dass die Kosten, die der Klägerin im Zusam­men­hang mit der homologen künst­li­chen Befruch­tung entstanden sind, als außer­ge­wöhn­liche Belas­tungen zu berück­sich­tigen sind. Der BFH hat das Urteil bestä­tigt. Außer­ge­wöhn­liche Belas­tungen liegen vor, wenn sie zwangs­läufig entstehen. Bei der Zwangs­läu­fig­keit wird nicht danach unter­schieden, ob ärztliche Behand­lungs­maß­nahmen oder medizi­nisch erfor­der­liche Hilfs­mittel der Heilung dienen oder ledig­lich einen körper­li­chen Mangel ausglei­chen sollen. Deshalb werden regel­mäßig auch Aufwen­dungen als außer­ge­wöhn­liche Belas­tungen berück­sich­tigt, obwohl der körper­liche Mangel durch die betref­fende Maßnahme nicht behoben, sondern nur "umgangen" oder kompen­siert wird. Daher erkennt der BFH Aufwen­dungen für die künst­liche Befruch­tung als Behand­lung bei Steri­lität an, wenn diese in Überein­stim­mung mit den Richt­li­nien der Berufs­ord­nungen für Ärzte vorge­nommen wird.

Voraus­set­zung ist außerdem, dass die Behand­lungs­maß­nahme mit der inner­staat­li­chen Rechts­ord­nung im Einklang steht. Denn eine nach natio­nalem Recht verbo­tene Behand­lung kann keinen zwangs­läu­figen Aufwand begründen, weil von den Steuer­pflich­tigen zu erwarten ist, dass sie gesetz­liche Verbote beachten. Aufwen­dungen für verbo­tene Behand­lungs­maß­nahmen sind selbst dann nicht zwangs­läufig, wenn sie straf- oder bußgeld­be­wehrt nicht geahndet werden. Kosten für eine künst­liche Befruch­tung können daher nur dann als außer­ge­wöhn­liche Belas­tungen berück­sich­tigt werden, wenn sie nicht gegen das Embryo­nen­schutz­ge­setz verstoßen.

Im Streit­fall würde aufgrund der Erkran­kung des Partners der Klägerin wahrschein­lich mit schwersten Schädi­gungen für ein ohne ärztliche Behand­lungs­maß­nahmen gezeugtes Kind zu rechnen sein, was zwischen den Betei­ligten zu Recht auch nicht streitig ist. Die Behand­lungs­maß­nahmen in Verbin­dung mit der künst­li­chen Befruch­tung der Klägerin waren somit medizi­nisch indiziert, um die Krank­heit des Partners auszu­glei­chen und deren nachtei­lige Folgen zu umgehen. 

Denn die durch die chromo­so­male Trans­lo­ka­tion des Partners der Klägerin entste­hende Gefähr­dung des Kindes bei natür­li­cher Befruch­tung konnte durch eine PID einschließ­lich nachfol­gender künst­li­cher Befruch­tung umgangen werden. Unerheb­lich ist, dass mit den ärztli­chen Maßnahmen die Ursachen besei­tigt werden konnten, weil von der Linde­rung einer Krank­heit vielmehr schon dann gespro­chen werden kann, wenn die ärztliche Tätig­keit auf die Abschwä­chung oder eine parti­elle oder völlige Unter­bin­dung von Krank­heits­folgen gerichtet ist.

Quelle: BFH | Urteil | VI R 2/22 | 28-02-2024