Unternehmer versteuern ihre Umsätze nach dem Soll- oder Ist-Prinzip. Bei der Soll-Besteuerung werden die Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuert. Bei der Ist-Besteuerung muss der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht vorfinanzieren, weil er die Umsatzsteuer erst ans Finanzamt zahlt, nachdem seine Kunden die Rechnungen bezahlt haben. Aber nicht jeder Unternehmer darf die Ist-Besteuerung in Anspruch nehmen. Der Unternehmer hat einen Anspruch darauf, dass ihm das Finanzamt auf Antrag die Ist-Besteuerung genehmigt,
- wenn sein Gesamtumsatz im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 € betragen hat (maßgebend ist die Definition in § 19 Abs. 3 UStG) oder
- wenn er von der Verpflichtung, Bücher zu führen und auf Grund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen, nach § 148 AO befreit ist, oder
- soweit er Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG) ausführt.
Fazit: Für Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs kann die Ist-Besteuerung beantragt werden, wobei es keine Rolle spielt, wie hoch diese Umsätze sind. Führt der Angehörige eines freien Berufs darüber hinaus noch andere Umsätze aus, die nicht zu seiner freiberuflichen Tätigkeit gehören, kann er die Ist-Besteuerung für diesen Teilbereich nur anwenden, wenn der Gesamtumsatz (einschließlich seiner freiberuflichen Umsätze) im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 € betragen hat. Aber! Die Umsätze aus der Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs gehören nicht zum Gesamtumsatz, wenn die Zuordnung nach § 19 Abs. 3 UStG entfällt, wie z. B. bei ärztlichen Leistungen.
Praxis-Beispiel:
Ein selbständiger Arzt erzielt Umsätze aus seiner heilberuflichen Tätigkeit in Höhe von 640.000 €. Daneben erhält er für Gutachten, die nicht umsatzsteuerfrei sind, Honorare in Höhe von 55.500 €. Die umsatzsteuerfreien Umsätze von 640.000 € gehören nicht zum Gesamtumsatz im Sinne des § 19 Abs. 3 UStG. Der Gesamtumsatz beträgt deshalb nur 55.500 € und übersteigt damit nicht den Grenzwert von 600.000 €. Der Arzt kann für die Honorare aus der Gutachtertätigkeit die Ist-Besteuerung beantragen.
Hinweis: Der zurzeit vorliegende Entwurf des Wachstumschancengesetzes sieht ab dem 1.1.2024 eine Erhöhung des Grenzwerts von 600.000 € auf 800.000 € vor. Das wirkt sich wie folgt aus:
- Hat der Umsatz im Jahr 2023 nicht mehr als 600.000 € betragen, kann die Ist-Besteuerung – wie bisher – im Jahr 2024 fortgesetzt werden.
- Hat der Umsatz im Jahr 2022 den Betrag von 600.000 € nicht überschritten und liegt er in 2023 über 600.000 €, aber nicht über 800.000 €, kann die Ist-Besteuerung im Jahr 2024 ebenfalls fortgesetzt werden.
- Hat der Umsatz des Jahres 2023 und der Vorjahresumsatz (2022) jeweils mehr als 600.000 € betragen, aber die Umsatzgrenze von 800.000 € nicht überschritten, kann sich der Unternehmer die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten auf Antrag vom Finanzamt genehmigen lassen, wobei auch ein konkludenter Antrag ausreicht. Es ist sinnvoll, wenn der Unternehmer einen Antrag stellt, sobald das Wachstumschancengesetz in Kraft getreten ist.