Gibt ein Kind, für das ein Kinder­geld­an­spruch besteht, seinen inlän­di­schen Wohnsitz auf, ohne einen gleich­ge­stellten Wohnsitz oder gewöhn­li­chen Aufent­halt in einem anderen Mitglied­staat der EU zu haben, entfällt der Kinder­geld­an­spruch. Die Festset­zung des Kinder­geldes ist ab dem Zeitpunkt aufzu­heben oder zu ändern, zu dem sich die Verhält­nisse geändert haben, die für den Anspruch auf Kinder­geld erheb­lich sind.

Praxis-Beispiel:
Die Tochter wohnte im Haushalt ihrer Mutter (Klägerin) in Deutsch­land. Sie war kinder­geld­be­rech­tigt. Die Tochter flog nach Austra­lien und schrieb sich dort für ein Auslands­stu­dium ein. Im ersten Studi­en­jahr verbrachte die Tochter die vorle­sungs­freie Zeit in Austra­lien, wo die Klägerin sie besuchte. Im Anschluss entschloss sich die Tochter zu einer Verlän­ge­rung ihres Auslands­stu­diums. Die Famili­en­kasse ging davon aus, dass die Tochter ihren Wohnsitz und gewöhn­li­chen Aufent­halt nach Austra­lien verlegt habe, sodass die Klägerin deshalb keinen Kinder­geld­an­spruch mehr habe und hob die Kinder­geld­fest­set­zung auf. Die Famili­en­kasse stellte die Kinder­geld­zah­lung ab August 2003 ein und forderte das Kinder­geld seit Juli 2002 von der Klägerin zurück.

Der BFH hat entschieden, dass der Klägerin das Kinder­geld von Juli 2002 bis einschließ­lich Dezember 2003 zustand. Die Kinder­geld­fest­set­zung für die Tochter war erst ab Januar 2004 aufzu­heben.

Es gilt folgender Grund­satz: Ein Kind, das zu Ausbil­dungs­zwe­cken im Ausland unter­ge­bracht ist, behält seinen Inlands­wohn­sitz in der elter­li­chen Wohnung bei, wenn dem Kind dort weiterhin zum dauer­haften Wohnen geeig­nete Räumlich­keiten jeder­zeit zur Verfü­gung stehen und erkennbar ist, dass das Kind die elter­liche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet. Dazu muss das Kind die elter­liche Wohnung mit einer gewissen Regel­mä­ßig­keit (wenn auch in größeren Zeitab­ständen) aufsu­chen. Sucht das Kind die elter­liche Wohnung nur noch selten oder gar nicht mehr auf, fehlt es am "Innehaben" einer Wohnung. Das gilt selbst dann, wenn für das Kind weiterhin ein Zimmer in der elter­li­chen Wohnung zur jeder­zei­tigen Nutzung bereit­steht.

Wenn ein Auslands­auf­ent­halt zunächst nur auf ein Jahr angelegt war und sich das Kind später entschließt, den Auslands­auf­ent­halt zu verlän­gern, gelten die Krite­rien, die für einen mehrjäh­rigen Aus-lands­auf­ent­halt anzuwenden sind, erst ab dem Zeitpunkt, in dem sich das Kind zu einer Verlän­ge­rung entschließt. Bis dahin führt das Fehlen unter­jäh­riger Inlands­auf­ent­halte nicht zur Aufgabe des Wohnsitzes.

Das ist wichtig, um die Frage beant­worten zu können, wie häufig das Kind die elter­liche Wohnung aufsu­chen muss, um seine Wohnung beizu­be­halten. Hier ist zwischen einjäh­rigen und mehrjäh­rigen Auslands­auf­ent­halten zu Ausbil­dungs-, Schul- oder Studi­en­zwe­cken zu unter­scheiden.

  • Bei Auslands­auf­ent­halten zu Ausbil­dungs-, Schul- oder Studi­en­zwe­cken bis zu einem Jahr führt das Fehlen unter­jäh­riger Inlands­auf­ent­halte des Kindes regel­mäßig nicht zu einer Aufgabe des Wohnsitzes.
  • Bei einem Auslands­auf­ent­halt, der auf mehr als ein Jahr angelegt ist, behält ein Kind seinen inlän­di­schen Wohnsitz in der elter­li­chen Wohnung regel­mäßig nur dann bei, wenn es sich während der ausbil­dungs­freien Zeiten überwie­gend im Inland aufhält und die Inlands­auf­ent­halte Rückschlüsse auf ein zwischen­zeit­li­ches Wohnen zulassen. Das ist der Fall, wenn das Kind während seines Inlands­auf­ent­halts die Wohnung nutzt. Kurze Unter­bre­chungen, wie z. B. zu Besuchs­zwe­cken oder wegen eines Kranken­haus­auf­ent­halts, sind unschäd­lich. Kurze, üblicher­weise durch die Eltern-Kind-Bezie­hung begrün­dete Besuchs­auf­ent­halte in der elter­li­chen Wohnung von zwei bis drei Wochen pro Jahr reichen aller­dings nicht aus.

Bei der Berech­nung, ob sich ein Kind in den ausbil­dungs­freien Zeiten überwie­gend im Inland aufhält und (von kurzen Unter­bre­chungen abgesehen) die elter­liche Wohnung nutzt, ist im Regel­fall auf das Ausbil­dungs-, Schul- oder Studi­en­jahr abzustellen.

Quelle: BFH | Urteil | III R 11/21 | 20-06-2023