Eine aus mehreren Ausbil­dungs­ab­schnitten bestehende einheit­liche Erstaus­bil­dung liegt nur dann vor, wenn die einzelnen Ausbil­dungs­ab­schnitte in einem engen sachli­chen und zeitli­chen Zusam­men­hang zuein­an­der­stehen. Der enge zeitliche Zusam­men­hang ist nur gewahrt, wenn das Kind den nächsten Teil der mehrak­tigen Ausbil­dung zum nächst­mög­li­chen Termin aufnimmt. Daran fehlt es, wenn das Kind dazwi­schen einen Freiwil­li­gen­dienst absol­viert, statt die Ausbil­dung sogleich fortzu­setzen. Dies hat zur Folge, dass die Erstaus­bil­dung mit dem vorhe­rigen Ausbil­dungs­ab­schnitt abgeschlossen ist, so dass der Kinder­geld­be­rech­tigte in der Folge­zeit einen Kinder­geld­an­spruch nur dann behält, wenn das Kind nicht oder nicht mehr 20 Stunden pro Woche erwerbs­tätig ist.

Praxis-Beispiel:
Der Kläger ist Vater einer im Februar 1996 geborenen Tochter, die zum Ende des Sommer­se­mes­ters 2018 ein Studium mit dem Bachelor of Science abschloss. In den Monaten Oktober 2018 bis einschließ­lich Mai 2019 absol­vierte die Tochter einen Freiwil­li­gen­dienst. Im Juli 2019 wurde sie zum Master­stu­dium im selben Fach zugelassen, welches sie im Oktober 2019 aufnahm. Zwischen Juli und September 2019 (Streit­zeit­raum) übte die Tochter eine befris­tete Aushilfs­tä­tig­keit im Umfang von 25 Wochen­stunden aus. Die Famili­en­kasse war der Auffas­sung, dass dem Kläger wegen der nicht nur gering­fü­gigen Erwerbs­tä­tig­keit der Tochter im Streit­zeit­raum kein Kinder­geld zu gewähren ist. Das Finanz­ge­richt gab der Klage statt.

Der BFH hielt die Revision der Famili­en­kasse für begründet. Zwar sei die Tochter auch in den strei­tigen Monaten bis zum Beginn des Master­stu­diums grund­sätz­lich kinder­geld­recht­lich zu berück­sich­tigen, weil sie den Master­stu­di­en­gang erst mit dem Beginn des Winter­se­mes­ters 2019/2020 aufnehmen konnte. Volljäh­rige Kinder, die das 25. Lebens­jahr noch nicht vollendet haben, sind nach Abschluss einer Erstaus­bil­dung kinder­geld­recht­lich jedoch nur dann zu berück­sich­tigen, wenn sie keiner Erwerbs­tä­tig­keit von mehr als 20 Wochen­stunden nachgehen. Das Finanz­ge­richt hat zu Unrecht Bachelor- und Master­stu­dium als Teile einer einheit­li­chen Erstaus­bil­dung angesehen.

Fazit: Wegen des Freiwil­li­gen­dienstes, den die Tochter zwischen­zeit­lich absol­vierte, fehlt der erfor­der­liche enge zeitliche Zusam­men­hang zwischen den Ausbil­dungs­teilen. Daher ist der Umfang der Erwerbs­tä­tig­keit relevant. Da dieser die Grenze von 20 Wochen­stunden überschritten hat, kann kein Kinder­geld gewährt werden.

Quelle: BFH | Urteil | III R 10/22 | 11-10-2023