Die Günsti­ger­prü­fung bei Kapital­ein­künften kann nur in der Steuer­erklä­rung des betref­fenden Jahres beantragt werden. Dieser Antrag hat keine hemmende Wirkung auf den Beginn der Festset­zungs­ver­jäh­rung. Ein Antrag auf Günsti­ger­prü­fung, der erst nach Ablauf der Festset­zungs­frist gestellt wird, hat somit keinen Einfluss auf die bereits abgelau­fene Verjäh­rungs­frist. 

Eine Steuer­fest­set­zung, ihre Aufhe­bung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festset­zungs­frist abgelaufen ist. Die Festset­zungs­frist beträgt regel­mäßig 4 Jahre. Sie beginnt grund­sätz­lich mit Ablauf des Kalen­der­jahres, in dem die Steuer entstanden ist. Muss eine Steuer­erklä­rung einge­reicht werden (= Pflicht­ver­an­la­gung), beginnt die Festset­zungs­frist mit Ablauf des Kalen­der­jahres, in dem die Steuer­erklä­rung einge­reicht wird, spätes­tens jedoch mit Ablauf des dritten Kalen­der­jahres, das auf das Kalen­der­jahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.

Praxis-Beispiel:
Die Klägerin reichte am 30.12.2020 Einkom­men­steu­er­erklä­rungen für die Jahre 2014 und 2015 ein und erklärte jeweils Einkünfte aus nicht­selb­stän­diger Arbeit (Versor­gungs­be­züge), die dem inlän­di­schen Lohnsteu­er­abzug unter­legen hatten. Außerdem erklärte sie Kapital­erträge von 4.543 € (2014) und 1.476 € (2015), die dem inlän­di­schen Steuer­abzug unter­legen hatten, sowie für 2015 auslän­di­sche Kapital­erträge vom 2.683 €, die nicht dem inlän­di­schen Steuer­abzug unter­legen hatten. Die Klägerin beantragte für beide Streit­jahre die Günsti­ger­prü­fung nach § 32d Abs. 6 EStG für sämtliche Kapital­erträge. Das Finanzamt lehnte die Durch­füh­rung von Einkom­men­steu­er­ver­an­la­gungen für 2014 und 2015 ab, da die Festset­zungs­frist abgelaufen sei und keine Pflicht zur Abgabe von Steuer­erklä­rungen bestanden habe. Nach einem erfolg­losen Einspruchs­ver­fahren wies das Finanz­ge­richt die Klage ab.

§ 32d Abs. 5 EStG räumt dem Steuer­pflich­tigen ein unbefris­tetes Wahlrecht ein, das nur durch den Eintritt der Festset­zungs­ver­jäh­rung und den Eintritt der Bestands­kraft begrenzt wird. Sie begründet jedoch keine Pflicht zur Abgabe einer Steuer­erklä­rung und kann damit den Beginn der Festset­zungs­frist nicht aufschieben. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Günsti­ger­prü­fung eine Abgabe der Steuer­erklä­rung voraus­setzt. 

Der BFH hat entschieden, dass ein Steuer­an­spruch mit dem gesetz­li­chen Eintritt der Festset­zungs­ver­jäh­rung erloschen ist. Ein Antrag des Steuer­pflich­tigen auf Günsti­ger­prü­fung kann daher den gesetz­li­chen Eintritt der Festset­zungs­ver­jäh­rung nicht rückwir­kend aufheben. Der Anspruch auf Steuer­fest­set­zung für 2014 ist somit erloschen. Die vierjäh­rige Festset­zungs­frist begann mit Ablauf des Jahres 2014, dem Jahr der Entste­hung des Steuer­an­spruchs, und endete mit Ablauf des Jahres 2018. Ein Pflicht­ver­an­la­gungs­fall lag nicht vor, da die Klägerin in 2014 zusätz­lich zu ihren Versor­gungs­be­zügen nur Einkünfte aus Kapital­ver­mögen bezogen hatte, die der Kapital­ertrag­steuer unter­legen hatten. Eine Antrags­ver­an­la­gung, die hier vorliegt, kommt daher von vornherein nicht infrage.

Den Anspruch auf Durch­füh­rung einer Einkom­men­steu­er­ver­an­la­gung für das Jahr 2015 hat das Finanz­ge­richt jedoch zu Unrecht abgelehnt. Für dieses Jahr begann die Festset­zungs­ver­jäh­rung aufgrund der Anlauf­hem­mung erst mit Ablauf des Jahres 2018, da eine Pflicht zur Abgabe der Einkom­men­steu­er­erklä­rung bestand. Eine Pflicht zur Abgabe einer Steuer­erklä­rung ergibt sich für solche Einkünfte aus Kapital­ver­mögen, die nicht dem abgel­tenden Steuer­abzug unter­legen haben, wenn der Betrag von 410 € überschritten wird. Nach den Feststel­lungen des Finanz­ge­richts hat die Klägerin in der Einkom­men­steu­er­erklä­rung für 2015 auch auslän­di­sche Kapital­erträge von 2.683 € erklärt, die nicht dem inlän­di­schen Steuer­abzug unter­legen haben, so dass eine Pflicht zur Veran­la­gung bestand. Somit erfolgte die Abgabe der Steuer­erklä­rung für das Streit­jahr 2015 durch die Klägerin am 30.12.2020 recht­zeitig. Im Rahmen der Pflicht­ver­an­la­gung für 2015 ist die von der Klägerin beantragte Günsti­ger­prü­fung somit ohne weiteres möglich.

Antrag auf Günsti­ger­prü­fung kein rückwir­kendes Ereignis: Der BFH stellte in seiner Entschei­dung auch klar, dass der Antrag auf Günsti­ger­prü­fung selbst kein rückwir­kendes Ereignis ist. Wird der Antrag in diesem Fall nach Eintritt der Bestands­kraft erstmals gestellt, ist die Antrag­stel­lung kein Ereignis mit steuer­li­cher Rückwir­kung.

Quelle:BFH | Urteil | VI R 17/23 | 13-05-2025